Die ersten tätowierten Menschen waren in den europäischen Metropolen um 1700 zu sehen. Es waren meist eingeborene Südseeinsulaner, die von europäischen Abenteurern und Entdeckern von ihren Weltumseglungen mitgebracht und auf Jahrmärkten und in Freak Shows gegen Eintrittsgeld zur Schau gestellt wurden. Als soziokulturelle Praxis hat das Tätowieren seit damals verschiedene Bedeutungen entwickelt. So kann die Tätowierung als Identifikationszeichen von Soldaten fungieren, der Brandmarkung von Häftlingen dienen oder als Signatur einer biker-gangs operieren. In all diesen Ausformungen artikuliert das Tattoo immer auch jenes »Wilde«, »Exotische« oder »Primitive« im Sinne eines »Anders-Seins«, das seinen kolonialen Ursprung prägte.
Im Seminar wird es darum gehen, das Tätowieren als hybride Kulturpraxis zu verstehen, in der ein europäischer Begriff vom Selbst durchdrungen ist von Begriffen vom Anderen. Dabei kann die Rolle der Haut in zweifacher Hinsicht als Medium verstanden werden, ist sie doch zugleich Speichermedium für die eintätowierten Zeichen als auch Medium im Sinne eines Vermittlers oder Übersetzers, der über nationale, rassische und soziokulturelle Grenzen hinweg neue Identitäten zu erzeugen vermag. Die Möglichkeit einer solchen hybrid gedachten europäischen Identität soll der zentrale Gegenstand des Seminars sein.
Das Wort »Tätowieren« entstammt etymologisch dem polynesischen ta tatau: ta, schlagen, und tatau: Zeichen, Hautverzierung. Demnach heißt Tätowieren soviel wie ›der Haut dauerhaft Zeichen einprägen.‹ So gesehen fungiert eine Tätowierung immer auch als eine Markierung oder Brandmarkung, mit der sich ein Subjekt in ein gesellschaftliches Normensystem einschreibt.
Literatur:
Anzieu, Didier. Le Moi-peau. Paris 1985 (dt. Das Haut-Ich. Frankf./M. 1991)
Oettermann, Stephan. Zeichen auf der Haut. Die Geschichte der Tätowierung in Europa. Hamburg 1995.
Young, Robert. Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture, and Race. London: 1995.